Im Kirchenbuch von Eddelak findet man diesen außergewöhnlich langen Eintrag:
Julius d. 1sten
Der Jggeselle Peter Boie des Hausmanns und Koogs-
gevollmächtigten Hans Boie in Westerbüttel
und Magdalena geborene Hinrichs aus Lehe ehel. Sohn
ist mit seiner Braut der Jgfr. Catharina Peters
weil. Mars Peters auf Oestermoor Kirchspiels Bruns-
büttel und Trienke jetzt verheÿrathete Thießen,
geb. Hahnkamms, ehel. Tochter, ohne vorhergegangene
Proklamation, nach Verzeigung eines Consistorial-
dekrets d.d. Meldorf d. 29 Maÿ 1797 wodurch der sonsti-
ge Dissensus der Vormünder und der Mutter gedachter
Braut suppliret worden, wie auch einer Königl. Con-
cession zur Hauscopulation d.d. Copenhagen
d. 24. Junii 1797 u. eines erforderlichen Schein von ihrem
Seelsorger d.d. Brunsbüttel d. 1. Julii 1797 von
mir in des Hans Boie Hause in Westerb. auf ausdrückliches
Verlangen nach der alten Agenda copuliert worden.
Zeugen: 1. der H. Rector C.H. Bahlenhorst
2. der Ldgevm. Joh. Johannßen
PS: daß der Vater Hans Boie, ein sehr vernünftiger Mann,
von mir sogleich unter 4 Augen, nach dem angeblichen
Wunsche der Braut, die Copulation nach der
alten Agenda verlangte, geschehe höchstwahrschein-
lich auf Veranlassung der anwesenden Bruns-
bütteler Pflegeeltern und Angehörigen der Braut,
welche, wie mir bekannt, sich gegen die neue
Agenda erklärt und vermutl. unter der Hand an
dem Spectakel in Brunsbüttel theil genommen haben.
Glossar Copulation = Trauung d.d. = de dato = datiert Dekret = Beschluss Dissensus = Meinungsverschiedenheit gedacht = oben erwähnt Hausmann = Bauer Konsistorium = ein kirchliches Gremium Ldgevm. = Landesgevollmächtigter Proclamation = öffentliche Verkündung der Absicht, eine Ehe zu schließen suppliren = ergänzen |
Der Eintrag gibt Anlass zu einigen Fragen. Wozu wurde ein „Consistorialdekret“ gebraucht? Wieso und zwischen wem gab es einen „Dissensus“? Weshalb die „Concession“ aus Kopenhagen? Was ist der Unterschied zwischen alter und neuer Agenda? Und last not least: Welches „Spectakel“ fand damals in Brunsbüttel statt?
Zunächst möchte ich die erwähnten Personen vorstellen:
Der Vater des Bräutigams Hans Boie (* 20.11.1745; † 17.7.1808) lebte zwar in Westerbüttel, war aber trotzdem Koogsgevollmächtigter, sicherlich weil er einige Hektar Land im Brunsbütteler-Eddelaker Koog besaß.
Die Braut Catharina Peters (* 15.11.1781; † 10.1.1830) war die Tochter des Marx/Mars Peters (* 21.1.1726; † 21.3.1788). Marx Peters war ein Bauer, dessen Vorfahren schon länger in Ostermoor ansässig gewesen sein dürften. Bereits im Umschreibeprotokoll von 1699 ist unter der Bauerschaft Ostermoor ein Marx Peters vermerkt, welcher eine kleine Landstelle von gut sieben Scheffel Größe sein Eigen nannte. Der Hof des Marx Peters von 1788 (des Enkels?) befand sich nördlich von der heutigen Fährstraße bei Lütt Dörp und umfasste kurz vor seinem Tod 11.3 ha, dazu kam noch etwas Land im ehemaligen Außendeich südöstlich vom Soldatendeich von 1687.
In zweiter Ehe war Marx Peters mit Cathrine Hahnkamm, verwitwete Tiedemann, verheiratet. Ihre gemeinsame Tochter Catharina, bei seinem Tod erst sechs Jahre alt, war seine einzige Erbin. Obwohl die Mutter noch lebte, bestellte das Amt wie damals üblich Vormünder.
Offenbar bestand ein „Dissensus“, also eine Meinungsverschiedenheit, zwischen der Mutter und den Vormündern wegen der Hochzeit. Über die Hintergründe des Dissenses können wir nur spekulieren. Die Braut war erst 15 Jahre alt, was eine Seite bewogen haben mag, sich gegen diese Ehe auszusprechen. Aber vielleicht waren noch andere Motive im Spiel, über die wir nur spekulieren können.
Wie ich aus einer Notiz im Koogskataster (LAS Abt. 102 Ksp. Brunsbüttel Nr. 913) weiß, waren „Wilcken Boie und Consorten“ die Vormünder. Mein Vorfahr Wilcken Boie (* 6.4.1748; † 22.5.1834) und Hans Boie, der Vater des Bräutigams, waren Brüder, und der Bräutigam Peter war folglich Wilcken Boies Neffe. Damit ist für mich klar, dass die Vormünder die Sache des Bräutigams vertraten, also die Hochzeit unterstützten. Und die Vormünder setzten sich mit Hilfe des Konsistorialdekrets gegen die Mutter durch.
Eine Haustrauung, wie sie im Hause Boie in Westerbüttel durchgeführt wurde, erforderte eine „Concession zur Hauscopulation“, welche vom König in Kopenhagen erteilt werden musste. Diese Erlaubnis war gebührenpflichtig, und deshalb konnte sich nicht jeder eine Haustrauung leisten.
Aber was mag der Unterschied zwischen der „alten Agenda“ und der „neuen Agenda“ gewesen sein? Ich nehme an, dass die unterschiedlichen Rituale in einem Zusammenhang mit den innerkirchlichen Konflikten zwischen Aufklärung und Pietismus standen. Der Pastor äußert nun in seinem Postscriptum die Vermutung, dass [die Bitte um die alte Agenda] „geschehe höchstwahrscheinlich auf Veranlassung der anwesenden Brunsbütteler Pflegeeltern und Angehörigen der Braut“. Da hat er sich wahrscheinlich geirrt – Hans Boie galt nämlich als „altgläubiger, dem Rationalismus abgeneigter Christ“ (BHS, S. 376).
Und an welchem „Spectakel“ mögen die Verwandten 1797 oder kurz zuvor in Brunsbüttel „unter der Hand“, also heimlich, teil genommen haben? Es muss sich um ein religiös motiviertes Ereignis gehandelt haben, zum Beispiel könnte ein Erweckungsprediger aufgetreten sein.
Und so ging es weiter …
Das Paar lebte zunächst im Neuen Kooge (= Brunsbüttelkoog). 1801 erwarb Peter Boie den Hof von Johann Süelsen in Westerbüttel (25 Morgen 1 Scheffel), und im Januar 1802 verkaufte Catharina Peters ihre Ländereien an den Ostermoorer Müller Peter Meinert. Vermutlich 1801 oder 1802 siedelte man nach Westerbüttel um. Der Bräutigam Peter Boie starb leider schon am 20. November 1812, die Ehe blieb kinderlos. Die Witwe Catharina heiratete Peters Bruder Wilcken Boie (* 1786; † 1833), mit dem sie mehrere Kinder hatte, deren Nachkommen wohl noch heute unter uns weilen.
Auf uns überkommen ist ein von Wilcken Boie selbst verfasstes Gedicht, mit welchem er seiner Ehefrau Catharina um 1820 seine Neujahrswünsche überbrachte:
Ich wünsch‘ Dir, meine liebe Frau,
Ein neues Jahr. Gott auf Dich schau!
Er schenke Dir Gesundheit dar
in dieses angefang’ne Jahr.
Er segne Deine Arbeit hier,
Geb‘ frohen Mut Dir, für und für!
Mit seiner Gnad‘ steh‘ er Dir bei,
Daß alles nur recht wohl gedeih!
Er hat viel Gut’s an Dich gewandt
In Deinem zweiten Ehestand;
Gab Tochter und zwei Söhnelein,
Soll das nicht eine Freude sein?
Getragen hast Du alle drei
Unter Deinem Herzen, Gott stand Dir bei.
So sauer auch die Geburt Dir war,
War er mit seiner Hilfe dar.
Du Mutter, und ich Vater wolle
Sie aufzieh’n und zur Freude solle
Sie wachsen in Erkenntnis hier.
Die Tugend ist die schönste Zier.
Ja Lena, Peter, Niklaus seid
Für uns zu beten stets bereit.
Wenn wir nun schwach und alt sind, flieht
Zu Gott dem Vater, der es sieht.
Wird mein Wunsch, den ich heut erfleht,
Von Gott erhört, daß es gescheh,
Dann bete ich zu Gott allein:
Laß unser fünf beisammen sein.
Quelle EH, S. 28
Literatur
- BHS: Bauern, Handwerker, Seefahrer, Lebensbilder aus dem Kirchspiel Brunsbüttel und aus dem Lande Dithmarschen. Verein für Brunsbüttler Geschichte. Von Wilhem Johnnsen (1961)
- EH: Eddelak in alter und neuer Zeit. Verlag D. Hinz in Brunsbüttelhafen. Von Esch und Haack (zirka 1895)