Cousinenehe anno 1735

Infol­ge der Sturm­flut­se­rie von 1717 bis 1720/21 (Weih­nachts­flut, Eis­flut, Neu­jahrs­flut) muss­te die Bau­er­schaft Oster­moor fast voll­stän­dig aus­ge­deicht wer­den. Vie­le Ein­woh­ner zogen sich hin­ter die neu­en Dei­che zurück. Unter ihnen befan­den sich auch der spä­te­re Koogs­ge­voll­mäch­tig­te Wilcken Boje (* 20.1.1705; † 20.2.1782) und des­sen Vater Johann Boje der Jün­ge­re. Bei­de wohn­ten um 1734 in War­fen im Kirch­spiel Eddelak.

Der Dispens

Nach dem Tode sei­nes Vaters (1734) beab­sich­tig­te Wilcken Boie zu hei­ra­ten. Dazu benö­tig­te er einen „Dis­pens“, also eine Aus­nah­me­be­wil­li­gung. Denn sei­ne Aus­er­wähl­te Ant­je Peters (* 5.2.1717) war sei­ne Cou­si­ne, ihre Mut­ter Gret­je (* 1668/69; † 31.1.1726) und Wilckens Vater Johann (* 1666; † 8.5.1734) waren Geschwis­ter. Es war Eile gebo­ten, weil die Braut – wie frü­her durch­aus üblich – bereits schwan­ger war. Hier nun der Wort­laut des könig­li­chen Dispenses:

Wilcken Boje aus Edde­lack in Süd­er­dith-
mar­schen und Ant­je Peters daselbst in secun­do
cons­an­gui­n­i­ta­tis gra­du linea aequa­lis, sub
dato Fri­d­richs­berg d. 24 Jan:
Ao 1735
 
Wir Chris­ti­an der Sechs­te von Got­tes
Gna­den König von Dän­nemark Nor­we­gen, der
Wen­den und Gothen, Hertzog zu Schleß­wig, Holl-
stein, Stor­marn und der Dith­mar­schen, Graff zu
Olden­burg und Dell­men­horst pp. Thun kund hir-
mit, dass Uns Unser Unterthan, Wilcken Boje,
aus Edde­lack in Unse­rer Land­schafft Süd­er Dith-
mar­schen sup­pli­can­do aller­un­tert­hä­nigst vor-
tra­gen laßen, wel­cher­ge­stalt er wohl ent-
schlo­ßen wäre, sich mit Ant­je Peters daselbst in
eine christ­li­che Ehe­ver­löb­niß ein­zu­las­sen, ihm
aber, wei­len er und die­sel­be in secun­do con­s­an-
gui­n­i­ta­tis gra­du linea aequa­lis mit ein­an­der
ver­wandt, nicht gebüh­ren wol­len, sol­che Ehe ohne
Unser vor­her­ge­hen­de Königl. Dis­pen­sa­ti­on zu
vol­lenzie­hen, mit aller­ge­hor­sams­ter Bit­te, Wir
geru­he­ten ihm sel­bi­ge dahin aller gnä­digst
zu ert­hei­len; Wann Wir dann sol­chem aller-
untert­hä­nigs­ten Gesuch in Königl. Gna­den statt-
gege­ben; Als dis­pen­si­ren Wir aus Königl. und
hoher Lan­des fürstl. Macht und Gewalt in vor­be-
sag­te Ehe hirm­it und krafft die­ses aller­g­nä-
digst, der gestalt und also, dass ermel­dte, bee­de
Per­soh­nen, sol­che durch Pries­ter­li­che Copu­la­ti­on
vol­lenzie­hen mögen, jedoch soll der Impe­trant
schul­dig und gehal­ten seÿn, eine Geld-Buße des-
falls von Zween Rtha­lern Cou­rant in Unser Sü-
der-Dith­mar­schen Land=Register zu bezah­len, und
sol­cher­we­gen einen beglau­big­ten Schein, von Unse­ren
Justiz=Rath und Land=Schreiber, Hans Hin­rich
Eggers zu Mell­dorff, dem Pas­to­ri, Ehrn Caro­lus
Aemi­li­us Hart­nack beÿ der Kir­che und Gemei­ne
zu Edde­lack, ante Copu­la­tio­nem, zu pro­du­ci­ren.
Wor­nach die Geist­lich­keit des Orths, wie auch sonst
Män­nig­lich, sich aller­t­hä­nig­lichst zu ach­ten. Uhr­kund-
lich unter Unse­rem Königl. Haus­zei­chen und für­ge-
druck­ten Insie­gel. Geben auff Unse­re Schloß
Fri­d­richs­berg den 24ten Janu­ar­ii Ao 1735.
 
Chris­ti­anR
(Ori­gi­nal-Unter­schrift)

Glos­sar

Copu­la­ti­on = Trau­ung
dis­pen­si­ren = Aus­nah­me­be­wil­li­gung ertei­len
Ehrn = Abk. Ehr­wür­den
Gemei­ne = Gemein­de
Impe­trant = Gesuch­stel­ler
män­nig­lich = jeder­mann
sup­pli­can­do = demü­tig bittend

Der Dis­pens (LAS 102 AR S.-Dithm 1735) ist höchst kunst­voll auf­ge­setzt: Bild 1 zeigt einen Aus­schnitt des Deck­blatts, Bild 2 die Ein­lei­tung „Wir Chris­ti­an der Sechs­te von Got­tes Gna­den König von Däne­mark, …“ Das Doku­ment wur­de vom König höchst­per­sön­lich unter­schrie­ben (Bild 3), „Chris­ti­anR“ steht für „Chris­ti­an Rex“, also König Chris­ti­an VI.

Abbil­dung 1: Deckblatt

 

Abbil­dung 2

 

Abbil­dung 3: Unter­schrift von König Christian

Die Kosten

Aus dem Text des Dis­pen­ses geht her­vor, dass Wilcken Boie 2 Reichs­ta­ler Buße an die Süd­er­dith­marscher Brü­che­kas­se zah­len muss­te. Fer­ner waren offen­bar zusätz­lich noch 4 Reichs­ta­ler Gebüh­ren für den Dis­pens sel­ber zu ent­rich­ten, wie das auf das Deck­blatt gedruck­te „Fire Rigs­da­ler“ ver­mu­ten lässt. Dar­aus ergibt sich die statt­li­che Sum­me von 6 Reichs­ta­lern, was 18 Mark Lübsch oder 288 Schil­lin­gen ent­sprach. Damals muss­ten die Oster­moorer Kät­ner 12 Schil­lin­ge pro Jahr Steu­ern für ihre Kate bezah­len. Wenn mei­ne Rech­nung kor­rekt ist, ent­spra­chen die Kos­ten einer Cou­si­nen­ehe für die­se Per­so­nen­grup­pe der Steu­er­last von immer­hin 24 Jahren.

Die­se Sum­me dürf­te einem Kät­ner oder Klein­bau­ern folg­lich weh getan haben, und das war wohl auch die Absicht der Obrig­keit: Die hohen Kos­ten wirk­ten stark pro­hi­bi­tiv auf Ver­wand­te­n­e­hen. In der Zeit des Wilcken Boie wuss­te man nichts von Genen, Chro­mo­so­men und Men­del. Jedoch war damals bekannt, dass über­mä­ßi­ge Inzucht das Auf­tre­ten von Krank­hei­ten und Behin­de­run­gen för­dert. Aus die­sem Grun­de sind Cou­si­ne­n­e­hen heu­te in eini­gen Län­dern und US-Bun­des­staa­ten verboten.

Und so ging die Geschichte weiter …

Noch 1735, am 12. Juni, gebar Wilcken Boies Frau Ant­je einen Sohn. Sie starb jedoch bereits am 1. Okto­ber 1735 im Alter von nur 18 Jah­ren ver­mut­lich an den Fol­gen der Geburt. Der Sohn wur­de Boie getauft. Wilcken Boie zog eini­ge Jah­re spä­ter (nach 1750) wie­der nach Oster­moor zurück. „Wilcken Boie aufm Oster­mohr“, wie er zur Unter­schei­dung zu den bei­den Wilcken Boye (II und III) aus Wes­ter­büt­tel genannt wur­de, besaß am  27. April 1764 einen Hof von 18.14 M.S (zir­ka 25 ha) Grö­ße, wel­cher sich offen­bar etwas öst­lich vom Koogs­weg an der heu­ti­gen Fähr­stra­ße befand. Wilcken Boie wur­de zum ers­ten mir bekann­ten Koogs­ge­voll­mäch­tig­ten ernannt.

Ich habe mich zunächst gewun­dert, wes­halb sein Sohn Boie Boie nie den väter­li­chen Hof in Oster­moor über­nahm. Heu­te sind mir die Grün­de klar. Im Kir­chen­buch von Bruns­büt­tel fin­det man näm­lich die­sen Ein­trag vom 21. Juni 1767:

Boi­en Boie, des Haus­manns Wilcken Boi­en auf Oe-
ster­moor, jetzt alhier woh­nend, und Ant­je, gebo­re­ne
Peters, ehe­leib­li­cher Sohn. Auf dem Wege nach sei­nem
Schwa­ger (der sei­nes Vaters Hoff bewohnet) Claus Kohl-
saath, fiel er in einem Gra­ben, da er einen Anfall von
der Epi­lep­sie, womit er von sei­ner Jugend auf be-
haf­tet war, bekam, und weil nie­mand ihm zu hel-
fen, vor­han­den war, ist er in sol­chen Umstän­den
im Was­ser und Schlamm um sein Leben gekom-
men, und von ohn­ge­fehr für­bey gehen­den todt ge-
fun­den wor­den. Er war geboh­ren 1735 d. 12ten
Jun. im Edde­la­ker Kirch­spiel in der Bau­er­schaft
Warf­fen, und ist alt wor­den 32 Jahr, 5 Wochen
und 3 Tage. Bei der Beer­di­gung wur­de von
mir eine Paren­ta­ti­on im Hau­se, gehalten.

Boie Boie war also Epi­lep­ti­ker und kam durch einen schreck­li­chen Unfall ums Leben. Ob die­se Erkran­kung in einem Zusam­men­hang mit der Ver­wand­ten­ehe stand, wis­sen wir nicht. Epi­lep­sien gel­ten nicht als typi­sche Erb­krank­hei­ten, besit­zen jedoch eine signi­fi­kan­te gene­ti­sche Komponente.

Boie Boies Halb­schwes­ter Cath­ri­na war mit dem spä­te­ren Koogs­ge­voll­mäch­tig­ten Claus Kohl­saat ver­hei­ra­tet. Da aus die­ser Ver­bin­dung kei­ne über­le­ben­den Kin­der her­vor gin­gen, wur­de der Hof des Wilcken Boie ein Jahr nach des­sen Tod (1782) im Dezem­ber 1783 an mei­nen Vor­fah­ren Mar­ten Feil (* 10.9.1751; † 10.3.1792) aus Büt­tel verkauft.

Literatur

Die Geschich­te der Oster­moorer Boien