Der große Angriff von 1944 – aus der Sicht der Alliierten

Die Angrif­fe auf Oster­moor vom 18. und 20. Juni 1944 wur­den von der 8th Air Force orga­ni­siert. Sie gal­ten der MAWAG, weil die­se nach Ansicht der Alli­ier­ten 10.000 Ton­nen Roh­öl pro Monat ver­ar­bei­te­te. In Wahr­heit stand der Betrieb der Mawag in den Jah­ren 1943 und 1944 still, und in den Tanks befan­den sich nur klei­ne­re Men­gen Öl (Gehr­mann, 1994 in der BZ).

Der Angriff vom 18. Juni 1944

Am 18. Juni 1944, einem Sonn­tag, wur­den 1378 Bom­ber auf den Weg nach Deutsch­land gebracht. Von die­sen gin­gen 11 ver­lo­ren. 54 ame­ri­ka­ni­sche Bom­ber vom Typ B‑24 Libera­tor und eine mir nicht bekann­te Zahl vom Typ B‑17 Fly­ing Fort­ress (= „Flie­gen­de Fes­tung“) grif­fen die Schleu­sen von Bruns­büt­tel­koog an.¹

Die B‑17 Bom­ber gehör­ten zur legen­dä­ren 100th Bom­bard­ment Group. Wegen ihrer teil­wei­se spek­ta­ku­lä­ren Ver­lus­te wäh­rend ein­zel­ner Ein­sät­ze nann­te man die­se Grup­pe damals ger­ne das „Bloo­dy Hundredth“. Gemit­telt über alle Mis­sio­nen waren die Ver­lus­te aber eher durch­schnitt­lich; ins­ge­samt ver­lor die­se Ein­heit bei 306 Mis­sio­nen 229 Bom­ber. Dabei kamen 769 Sol­da­ten um („kil­led in action„ oder „missed in action“) um, 939 gerie­ten in Gefangenschaft.

Ursprüng­lich soll­te offen­bar ein ande­res Objekt ange­grif­fen wer­den. Zwei der drei ver­füg­ba­ren Kriegs­ta­ge­bü­cher nen­nen die Ölraf­fi­ne­rie von Oster­moor als „pri­ma­ry tar­get“, das drit­te die Ölraf­fi­ne­rie in Han­no­ver-Mis­burg, ein außer­or­dent­lich belieb­tes Angriffs­ziel der Alli­ier­ten. Wegen schlech­ter Sicht muss­ten die Pilo­ten – dar­in sind sie sich einig – aber auf das „secon­da­ry tar­get“ aus­wei­chen, wel­ches in die­sem Fal­le die Kanal­schleu­sen von Bruns­büt­tel­koog waren. Die Bom­ber grif­fen von Wes­ten her an. Dies erscheint zumin­dest merk­wür­dig, wenn die Flie­ger unver­rich­te­ter Din­ge aus Rich­tung Mis­burg (oder Oster­burg In Sach­sen-Anhalt) gekom­men wären. Daher neh­me ich an, dass das nahe gele­ge­ne Oster­moor tat­säch­lich das Pri­mär­ziel war. So sah es wohl auch der Lek­tor des Schmitt’schen Tage­buchs, der wahr­schein­lich den Ein­satz­plan der Ein­heit kann­te und das dort genann­te ursprüng­li­che Ziel „Oster­burg“ in „Oster­moor“ berichtigte.

Der Air­force-Sol­dat John R. („Dick“) John­son² notier­te in sei­nen Kriegserinnerungen:

Das pri­mä­re Ziel [laut John­son Han­no­ver-Mis­burg] durch Wol­ken ver­deckt. So nah­men wir eine Kanal­schleu­se als Gele­gen­heits­ziel [‚tar­get of oppor­tu­ni­ty‘, BF], da man uns erzählt hat­te, dass jedes belie­bi­ge mit Trans­port in Zusam­men­hang ste­hen­de Ziel ein gutes Ziel sei. Das Pro­blem war, dass Dehn es ver­fehl­te – wie immer. Wie­der ein­mal schlu­gen wir vor ihn zu erset­zen, aber es nütz­te nichts.“

An dem Angriff war auch der Pilot Charles E. („Chuck“) Har­ris² beteiligt:

Die Mis­si­on führ­te nach Nord­deutsch­land, es soll­te eine Raf­fi­ne­rie in Oster­moor bom­bar­diert wer­den, das Zweit­ziel waren die Schleu­sen des Kiel-Kanals. Da das pri­mä­re Ziel durch Wol­ken ver­deckt war, grif­fen wir die Kanal­schleu­sen an. Wir tra­fen auf kei­ne feind­li­chen Jagd­flug­zeu­ge [‚ene­my action‘, BF], und die Grup­pe kehr­te ohne Ver­lus­te zurück.“

Der Pilot Les­lie E. Kas­se­baum² berich­tet von hef­ti­gem Flak­feu­er. Dazu passt auch, dass die „Boss­la­dy“ mit Hen­ry Rosi­ne² als Pilot sich eini­ge Schä­den zuzog.

Emmett P. Schmitt² war Fun­ker und Kano­nier auf der „Fever Bea­ver“, 351. Schwa­dron, Pilot James Ran­som. Aus Schmitts Bericht:

Star­te­ten um 5:00, um eine Ölraf­fi­ne­rie in Oster­burg [Kom­men­tar des Lek­tors: ‚rich­tig: Oster­moor‘], Deutsch­land, zu bom­bar­die­ren, bom­bar­dier­ten statt­des­sen das Sekun­där­ziel, wel­ches nur eini­ge weni­ge Mei­len vom Pri­mär­ziel ent­fernt war. Traf eini­ge Lager­häu­ser in Bruns­büt­tel­koog … Gerie­ten in sehr schwe­res Flak-Feu­er aus dem Ziel­ge­biet … wir beka­men ein lan­ges, schar­ti­ges Loch im rech­ten Flü­gel und zwei auf der rech­ten Sei­te beim Sitz des Kopi­lo­ten. Der Kopi­lot wur­de im Ober­schen­kel von einem Flak­split­ter getrof­fen. Er zog ihn selbst raus und hat­te nur eine klei­ne 1/2‑zöllige drei­ecki­ge Wun­de. Wir wur­den von P‑47 und P‑38 Jagd­flug­zeu­gen eskor­tiert. Höhe 22000 Fuß. Eine Maschi­ne ging über der Nord­see run­ter [Kom­men­tar auf der Web­sei­te: ‚Gehör­te nicht zur 100th BG‘], neun Mann spran­gen ab. Min­des­tens drei Maschi­nen bra­chen die Mis­si­on ab, weil sie Ver­wun­de­te an Bord hatten. …“

Wie ein unmit­tel­bar wäh­rend des Angriffs auf­ge­nom­me­nes Bild³ deut­lich zeigt, schlu­gen zwar vie­le Bom­ben unweit der Schleu­sen ein (aus recht­li­chen Grün­den darf ich es lei­der nicht auf die­ser Web­sei­te prä­sen­tie­ren), jedoch hiel­ten sich die Beschä­di­gun­gen an ihnen in Gren­zen. Zahl­rei­che Bom­ben gin­gen süd­öst­lich von Wes­ter­büt­tel in der Gegend um die Jus­tus-von-Lie­big-Stra­ße und in der Nähe des heu­ti­gen Frei­ba­des Ulitz­hörn nieder.

Der Angriff vom 20. Juni 1944

Der Angriff vom Sonn­tag war alles in allem ein Fehl­schlag. Nur zwei Tage spä­ter, am Diens­tag, den 20. Juni 1944, grif­fen die Ame­ri­ka­ner die MAWAG und die Schleu­sen des­halb ein zwei­tes Mal an. An die­sem Tag brach­te die 8th Air Force ins­ge­samt über 1548 Bom­ber¹ vom Typ B‑17 und B‑24 auf den Weg, um Zie­le in Nord­deutsch­land und V‑Waf­fen-Abschuss­an­la­gen in Frank­reich zu zer­stö­ren. Dabei gin­gen immer­hin 49 Maschi­nen verloren.

Dies­mal grif­fen 71 B‑24 Libera­tors die MAWAG in Oster­moor und zeit­gleich 12 B‑17 Fly­ing Fort­res­ses die Bruns­büt­tel­koo­ger Schleu­sen an. Am Angriff auf Oster­moor waren Bom­ber von min­des­tens drei Ein­hei­ten betei­ligt, näm­lich die 466th B.G., 467th B.G. und 458th B.G.

Es soll­ten wohl ursprüng­lich 72 Bom­ber Oster­moor anflie­gen. Der 72. Bom­ber („Patchie“) wur­de von L.M. War­ner pilo­tiert. War­ner berich­tet, dass er wegen aus­ge­fal­le­ner Moto­ren umkeh­ren und die Bom­ben über der Nord­see abwer­fen musste.

Aus sei­nen Erinnerungen:

Ziel war eine Ölraf­fi­ne­rie in Ostem­ur [Oster­moor]. 12 500-Pfün­der. Unser ers­tes Mal nach Deutsch­land über die Nord­see. Wir hoben um 5:10 ab, sor­tier­ten uns pro­blem­los in die For­ma­ti­on ein und zogen los, auf dem rech­ten Flü­gel rechts oben. Hat­ten doch die bes­te Maschi­ne – sie konn­te gut stei­gen. Erreich­ten eine Höhe von 20.000 Fuß bevor wir auf die feind­li­che Küs­te tra­fen, als Hiers sich mel­de­te und sag­te: Guck mal auf [Motor] Nr. 2, der ver­liert zu viel Öl, und tat­säch­lich begann der Druck 5 Minu­ten spä­ter abzu­fal­len – als er 40 psi [pound-force per squa­re inch] erreich­te, stell­te Chuck ihn ab, und wir waren auf drei Moto­ren. Ich konn­te nicht in der For­ma­ti­on blei­ben, und so dreh­ten wir um. Wie­der wünsch­te ich mir, ich sei ein Heckkanonier!

Über feind­li­chem Ter­ri­to­ri­um, auf nur drei Moto­ren und wir müs­sen über die Nord­see, um nach Hau­se zu kom­men. Eich­korn [wohl eine ande­re Maschi­ne der Ein­heit, die ihre Bom­ben zwi­schen­zeit­lich auf Oster­moor abge­wor­fen hat­te, BF] war wie­der bei uns, und er flog uns vor­aus. Alle mei­ne Jungs waren groß­ar­tig gefasst und ruhig – nur ein ‚OK, Skip­per‘, als ich ihnen sag­te, dass wir umdre­hen wür­den und sie nach [deut­schen, BF] Jagd­flug­zeu­gen Aus­schau hal­ten soll­ten. Eini­ge weni­ge Minu­ten spä­ter mel­de­te sich Hiers wie­der und sag­te, dass [Motor] Nr. 2 ein wenig Öl ver­lö­re. Das Pro­blem igno­rier­te ich, warf die Bom­ben über dem Meer ab, flog gera­de so schnell wie ich es wegen [Motor] Nr. 2 wagen konn­te, und begann einen lang­sa­men Abstieg über dem Was­ser. Gott sei Dank wuss­ten mei­ne Jungs nicht, wie viel Angst ich um sie hat­te. Die Nord­see ist schreck­lich kalt. Aber wir sahen kei­ne feind­li­chen Jagd­flug­zeu­ge, und Eich­korn brach­te uns über das Feld, als ich noch 10000 Fuß hat­te. Das Flug­feld war in Wol­ken gehüllt, ich muss­te einen Instru­men­ten­an­flug machen, was schon mit 4 Moto­ren schon übel ist, erst recht aber mit 2 ½. … [die Maschi­ne lan­de­te ohne Verluste].“

An dem Angriff auf Oster­moor nahm auch die „Witch­craft“ teil. Die­se Maschi­ne der467th B.G. ist legen­där, weil sie 130 Mis­sio­nen ohne jeg­li­che Ver­lus­te flog.

Die Bom­ber wur­den von P38‑, P47- und P51-Jagd­flug­zeu­gen eskor­tiert, die sich offen­bar aber in eini­ger Ent­fer­nung aufhielten.

Ein aus einem Bom­ber der 467th B.G. von Wes­ten her auf­ge­nom­me­nes Pho­to zeigt die Explo­si­ons­wol­ken der Bom­ben unmit­tel­bar nach dem Angriff. Sehr gut zu erken­nen sind das sil­bern schim­mern­de Band der Elbe, der Ver­lauf der dama­li­gen Reichs­stra­ße 5 sowie wei­te­re Maschi­nen des Bomberpulks.

Die Mawag wur­de voll­kom­men zer­stört (Bil­der). Bei die­sem Bom­ben­an­griff star­ben lei­der eini­ge Men­schen, dar­un­ter fünf Sol­da­ten der Flak-Bat­te­rie an der Mela­mid­s­tra­ße. Die Namen der zivi­len Opfer fin­det man auf dem Oster­moorer Ehren­mal.


Redak­tio­nel­le Anmerkungen
¹ [11.3.2016] Der ursprüng­lich von Boy gesetz­te Link war seit Febru­ar 2014 für län­ge­re Zeit off­line.  Die Sei­ten unter 445bg​.org wur­den offen­bar über­ar­bei­tet und so die Link­struk­tur ver­än­dert. Nach Recher­chen im März 2016 dürf­te der von Boy refe­ren­zier­te Inhalt nun­mehr unter dem neu­en Link zu fin­den sein, eine Garan­tie kann dafür aber nicht über­nom­men werden.
alter Link: https://​www​.445bg​.org/06 – 11_thru_06-20.htm
neu­er Link: https://​www​.445bg​.org/​j​u​n​,​-​1​944 — post-d-day.html

² [6.6.2017] Die ursprüng­lich von Boy gesetz­ten diver­sen Links zu den Berich­ten ame­ri­ka­ni­schen Sol­da­ten auf der Web­sei­te www​.100thbg​.com waren nicht mehr erreich­bar. Die Sei­ten unter www​.100thbg​.com wur­den offen­bar über­ar­bei­tet und so die Link­struk­tur ver­än­dert. Nach Recher­chen im Juni 2017 dürf­te der von Boy refe­ren­zier­te Inhalt nun­mehr unter den jeweils aktua­li­sier­ten neu­en Links zu fin­den sein, eine Garan­tie kann dafür aber nicht über­nom­men werden.

³ [6.6.2017] Die­ser ursprüng­lich von Boy gesetz­te Link auf ein Foto der Web­sei­te www​.100thbg​.com war nicht mehr erreich­bar. Die Sei­ten unter www​.100thbg​.com wur­den offen­bar über­ar­bei­tet und so die Link­struk­tur ver­än­dert. Das ver­link­te Foto konn­te man­gels einer aus­rei­chen­den Beschrei­bung oder sons­ti­ger Hin­wei­se nicht mehr ent­deckt wer­den. Da es unwahr­schein­lich ist, dass die Betrei­ber von www​.100thbg​.com das Foto ent­fernt haben, wird es ver­mut­lich immer noch irgend­wo auf den Web­sei­ten von www​.100thbg​.com vor­han­den sein.
alter Link: https://​www​.100thbg​.com/​m​a​i​n​m​e​n​u​s​/​m​i​s​s​i​o​n​s​/​m​i​s​s​i​o​n​s​8​/​j​t​_​0​0​0​8​s​m​.​jpg

[10.2.2014] Der ursprüng­lich von Boy gesetz­te Link zur Web­sei­te mem​bers​.cox​.net war nicht mehr erreich­bar. Die Sei­ten exis­tie­ren nicht mehr und konn­ten auch an ande­rer Stel­le nicht gefun­den werden.
alter Link: https://​mem​bers​.cox​.net/​r​o​u​t​e​6​6​/​p​a​t​c​h​i​e​.​h​tml