Ostermoor besaß offenbar bereits um 1594 eine Schule. Wir wissen davon durch ein Visitationsprotokoll.
In alter Zeit wurden die Kirchengemeinden regelmäßig inspiziert. Dies geschah meist alle drei Jahre, obwohl laut Kirchenordnung eigentlich jährliche Visitationen vorgeschrieben waren. Da der Betrieb der Schulen eine Angelegenheit der Kirche war, gewähren die bei dieser Gelegenheit angefertigten Visitationsprotokolle einen kleinen Einblick in das Schulwesen des 16. und 17. Jahrhunderts.
Ablauf einer Visitation
Die Visitationen erfolgten nach Vorankündigung. Das visitierende Gremium bestand aus drei Personen, nämlich dem Propst, dem Landvogt und dem Landschreiber. Der letztere fungierte als Protokollführer, während der Probst und der Landvogt die eigentlichen Visitatoren waren. Der Landvogt nahm die Rechte des Landesherrn wahr, der die Kirchenhoheit besaß.
Die Angestellten der Kirche mussten während der Visitation anwesend sein. Zu diesen gehörten natürlich die Prediger, ferner die Küster, Organisten, Kirchspielschreiber und auch die Lehrer. Des Weiteren wohnten die Baumeister, die Edtschwaren, die Diakonen (Armenpfleger) sowie der Kirchspielvogt der Visitation bei. Dazu kam noch eine unterschiedlich große Anzahl (8 bis 24) von Mitgliedern des Kirchenkollegiums.
Eine Visitation dauerte zwei Tage. Der Probst eröffnete die Visitation mit einer kurzen Ansprache, in der er die Bedeutung und den Zweck der Visitation hervor hob. Dann legte man den Visitatoren die Kirchenrechnungen der Baumeister und die Armenrechnungen der Diakone vor. Nach der Prüfung der Rechnungen arbeiteten die Visitatoren einen Katalog mit ungefähr 20 Fragen ab. Insbesondere ging es um die Einhaltung der reinen Lehre, aber auch um den Lebenswandel der Kirchendiener. Einige der Fragen betrafen die Schulen, wie dem Visitationsprotokoll von St. Michaelisdonn aus dem Jahre 1673 zu entnehmen ist (Rolfs, 1913, 448ff):
- Wie ist es der Kirchspiel Schuel bewandt, wer Schulhalter, und ob er auch fleißig und trewlich sein Ampt verrichte?
- Ob auch alle Kirchbediente, Pastor u. Schulhalter, zu rechter Zeit ihr Salarium bekommen …
Die Visitatoren nahmen auch Klagen, Wünsche usw. der Bürger entgegen. Diese erhielten offenbar zeitnah Bescheid auf ihre Eingaben (Rolfs, 1912, 245).
Eine Visitation verursachte erhebliche Kosten. Neben einer Visitationsgebühr mussten noch Reisekosten beglichen und Trinkgelder gezahlt werden. Teuer wurde auch die üppige Visitationsmahlzeit. Das lag zum einen an der großen Zahl der Gäste, denn es nahmen alle an der Visitation Beteiligten teil. Zum anderen trieb man in Dithmarschen bei Festen gerne großen Aufwand. So wurden bei der Visitation in Marne im Jahre 1630 insgesamt 300 Liter Bier getrunken (Rolfs, 1913, 245).
Das Visitationsprotokoll von 1594
Das Kirchspiel Brunsbüttel wurde unter anderem im Jahre 1594 visitiert. Das Visitationsprotokoll ist noch erhalten (Rolfs, 1913, 395ff). Es heißt dort:
„Tho Brunßbüttel Anno 1590 den 9. July Pastor H. Zacharias Catermann: war uth-heimisch. H. Marcus Boie jegenwardich. Karspelvaget Jurgen Hardersen war jegenwardich.
De Buwmeister alse Jacobs Johan vp dem Ostermore, Harders Tyes tho Belmenhusen, Claus Drewes in den Groden vnd Harder Boie thom Walle.Specialia negotia:
Praepositus intercessit pro Nicolao Christiani, ut aliquod ad studia continuenda contribueretur ex publico: accipit 2 Daleres vnd Jurgen Harders, de Karspelvaget 1 Daler.Saken:
Herr Markesen, dem Caplan is dorch de Visitatoren, Karspelvaget vnd Buwmeister vorlovet, sines Denstes affgelegenen Acker tho vorkopende vnd dat Gelt in Houetstol vp Rente tho leggen. Den Kop schollen de Karspelvaget und Buwmeister mith H. Marco anrichten vnd mit den Lüden tho slutende mechtig sin.
Dewile de Win etwas dür vnd demnach temlich vele Volckes thom Dische des Heren gahn: begerde Jost Dimerbrock de Koster, dat vth der Karcken Heuinge ehm thor Betalinge dessulven Wins etwas Jarliges moste thogelecht werden, ock dat siner Frouwen vor er Waschent der Chor Kledung etwas gegeuen. – Darup is ehnen beyden ingerumet 3 Daler.De Scholmeister vp de Burschoppen schollen mith eren Schöleren in de Kercken de Sondage und Virdage kamen vnd sovele mogelich mith singen helpen, vnd in dem gebruckliken Umsingende jegen de Vastelauendes Tydt by den Scholeren yder Burschop de Scholmeister suluest mith ghan vnd tho sehen, dat nichts Vngebörlickes vorgenamen vnd vthgerichtet werde vnd schal gentzlich vorbaden sin dat Widersingent in mer Burschoppen alse dar in den Burschoppen de Kinder gehorig vnd des Scholmeisters sin Scholholdent sick erstrecket. Wol sick, he si Scholmeister edder Scholer, hiriegen vordristen vnd in andern Burschoppe bynnen edder buten Karspel lopen vnd singen wardt, schal thom bogesten gestraffet werden, ock schollen de Scholer in eren vorloueden Umsingende gantz nene Were, ydt si Poke, Dolcke, Swerde, Spete, Speißen, Gleuinge edder anders mith sick dragen, ock unter sick suluest edder jegen andere sich nicht slagen vnd vyentlich beschedigen.“
Der Text bedarf einiger Erläuterungen.
Der damalige Ostermoorer Baumeister hieß also Jacobs Johan. Dieser lässt sich schon Jahrzehnte zuvor in den Ackerschatzregistern nachweisen, er besaß um 1594 einen gut 13½ Morgen großen Hof. Die Amtszeit der Baumeister war drei Jahre, konnte aber verlängert werden. Daher waren Jacobs Johan, Claus Drewes und Harder Boie auch bei der Visitation am 16. September 1600 noch im Amt, während Harders Tyes wahrscheinlich kurz vor der Visitation verstorben und sein Amt deshalb gerade vakant war (Rolfs, 1913, 401). Die Baumeister waren für die Instandhaltung der kirchlichen Gebäude zuständig, zu welchen außer der Kirche und den Predigerwohnungen auch die Wohnungen der Lehrer, Küster und Kirchspielschreiber gehörten. Außerdem waren sie verantwortlich für die pünktliche Auszahlung der Gehälter an die Kirchenangestellten, überhaupt hatten sie für die Kirche und die Schulen Sorge zu tragen. Das Amt des Baumeisters war „das vornehmste Werk bei der Administration der Kirchensachen“ und wurde deshalb gerne von Mitgliedern angesehener Familien verwaltet (Rolfs, 1909, 168ff).
Die in lateinisch gehaltene „Specialia negotia“ (Besondere Angelegenheit) betraf den in Rostock studierenden Nicolaus Christiani, den das Kirchspiel Brunsbüttel finanziell unterstützte. Er wurde später Diakonus von Tellingstedt (Amtszeit 1601 bis 1632) (Rolfs, 1913, 395).
Das Umsingen (auch Currende genannt) war ein Singumzug, bei dem Schulkinder Geld und Esswaren erbettelten. Das eingesammelte Gut verwendeten diese für eine mittägliche Festmahlzeit in der Schule mit nachfolgendem Tanz. Dieses Fest nannte man „Kinderkaland“, es fand in der Zeit um Fastnacht statt. Das Umsingen wurde in Süderdithmarschen im Jahre 1747 verboten, da – so die Begründung in der Schulordnung – Schulstunden versäumt würden und die Jugend verwildere. Ein Gegner des Kinderkalands schätzte die durch diesen verlorene Zeit auf „oft mehr als 7 Wochen“, gerade in der einzigen Jahreszeit, in der die größeren Kinder die Schule besuchten. Außerdem monierte derselbe Kritiker, dass „unter vielen Ausschweifungen die ganze Nacht bis an den Morgen“ getanzt werde.
Infolge des Verbots des Kinderkalands mussten die Lehrer auf ihren Anteil an den eingesammelten Gaben verzichten. Dieser sollte laut Schulordung von 1747 „nach Gutbefinden der Visitatorum allenfalls durch ein Äquivalent ersetztet werden“. Wahrscheinlich begrüßten die Lehrer mehrheitlich die Abschaffung des Kinderkalands, denn sie wurden während des Umsingens manchmal mit groben, sie kränkenden Ausdrücken bedacht, wenn die Leute der Bettelei überdrüssig waren (Rolfs, 1913, 396ff).
Offenbar kam es während des Umsingens zu einigen Exzessen, wie das Protokoll von 1594 erkennen lässt. Deshalb forderten die Visitatoren die Lehrer auf, ihre Schüler beim Umsingen zu begleiten, damit nichts „Ungebührliches vorgenommen und ausgerichtet“ werde. Um einer ausufernden Bettelei Einhalt zu gebieten, wurde das Umsingen auf das Einzugsgebiet der Schule („des Scholmeisters sin Scholholdent sick erstrecket“) bzw. auf die Bauerschaft beschränkt, aus der die Kinder stammten („in den Burschoppen de Kinder gehorig“). Ferner sollten die Kinder keine Waffen („nene Were“) mit sich tragen, auch sollten sie sich selbst oder andere nicht schlagen. Vom Waffenverbot betroffen waren Messer (Poke), Dolche (Dolcke), Schwerter (Swerde), Spieße (Spete) und Lanzen (Gleving).
Die Formulierungen „De Scholmeister vp de Burschoppen“, „gentzlich vorbaden sin dat Widersingent in mer Burschoppen alse dar in den Burschoppen de Kinder gehorig“ und „he si Scholmeister edder Scholer, hiriegen vordristen vnd in andern Burschoppe … lopen“ lassen vermuten, dass damals alle Bauerschaften Schulen besaßen. Wenn Ostermoor keine eigene Schule gehabt hätte, wäre den Schulkindern aus den anderen Bauerschaften sicherlich ausdrücklich erlaubt worden, die Bauerschaftgrenzen zu überschreiten und auch in Ostermoor zu betteln.
Literatur
- Rolfs C. (1909): Die kirchliche Verfassung Dithmarschens von der Einführung der Reformation bis zur Eroberung des Landes. Schriften des Vereins für schleswig-holsteinische Kirchengeschichte. II. Reihe. IV. Band, 3. Heft, 143 – 178..
- Rolfs C. (1912): Aus alten dithmarsischen Visitationsprotokollen. Schriften des Vereins für schleswig-holsteinische Kirchengeschichte. II. Reihe. V. Band, 3. Heft, 241 – 297.
- Rolfs C. (1913): Aus alten dithmarsischen Visitationsprotokollen. Schriften des Vereins für schleswig-holsteinische Kirchengeschichte. II. Reihe. V. Band, 4. Heft, 394 – 452.