1574: Deichschlag zwischen Steinburg und Dithmarschen – das Ende eines Kuriosums

Im Mit­tel­al­ter gab es noch kei­nen durch­ge­hen­den Elb­deich zwi­schen Oster­moor und Büt­tel. Des­sen Schutz­funk­ti­on über­nah­men zwei wenig stand­fes­te Flü­geld­ei­che, näm­lich der Oster­moorer Schen­keld­eich und der Alte Moor­deich, wel­che die Dei­che auf dem Elb­ufer mit dem Hoch­moor ver­ban­den. Bis 1559 ver­hin­der­ten poli­ti­sche Grün­de den Bau eines gemein­sa­men Elb­deichs. Die Nie­der­la­ge Dith­mar­schens bei der „Letz­ten Feh­de“ been­de­te aber die Unab­hän­gig­keit Dith­mar­schens und mach­te den Weg frei für einen Deich zwi­schen Dith­mar­schen und der Wils­ter­marsch. Aber erst die Sturm­flu­ten von 1561 und 1563 ver­lie­hen die­sen Plä­nen genü­gen­den Nach­druck. Die neue Deich­li­nie wur­de dann 1574 rea­li­siert. Nach den Sturm­flu­ten von 1684 und 1685 muss­te der neue Deich jedoch wie­der auf­ge­ge­ben wer­den. Erst 1762 war der alte Zustand annä­hernd wie­der hergestellt.

Eine Lücke im Elbdeich

Noch zu Zei­ten der spä­ten Dith­marscher Bau­ern­re­pu­blik gab es vor den Kirch­spie­len Bruns­büt­tel und St. Mar­ga­re­then (bzw. vor dem Jahr 1500 Elre­de­fleth) kei­nen durch­ge­hen­den Elb­deich. Die Gren­ze zwi­schen den bei­den Kirch­spie­len bil­de­te der „Hols­ten­gra­ben“, ein Ent­wäs­se­rungs­gra­ben, der vom Hoch­moor bis zur Elbe führ­te. Zwei kur­ze Dei­che, der „Alte Moor­deich“ öst­lich und der „Schen­keld­eich“ west­lich vom Hols­ten­gra­ben ver­ban­den die Elb­dei­che vor Oster­moor und Büt­tel mit dem Wüs­ten Moor, des­sen Zun­ge sich fast bis an die Elbe erstreck­te. Bei Sturm­flu­ten wur­de das zwi­schen den bei­den Dei­chen lie­gen­de Sumpf­ge­biet bis zum Hoch­moor überschwemmt.

Elbkarte von M. Lorichs

Aus­schnitt aus der Elb­kar­te von Mel­chi­or Lorichs (1527 – 1583/88) aus dem Jah­re 1568. Die Wind­müh­le („Oster­müh­le“) stand im Osten der Bau­er­schaft Oster­moor. Zwi­schen den bei­den Schen­keld­ei­chen befand sich der Hols­ten­gra­ben, wel­cher die Gren­ze zwi­schen Hol­stein und Dith­mar­schen bildete.

Die Elb­kar­te von Lorichs (oben) ver­mit­telt einen guten Ein­druck von den Ver­hält­nis­sen vor 1574.

Es ist nicht bekannt, wann der Alte Moor­deich und der Oster­moorer Schen­keld­eich errich­tet wur­den – vom Alten Moor­deich weiß man aus dem Spa­de­land­brief nur, dass er schon vor 1438 exis­tiert haben muss (Det­lef­sen, 1891,  Band 1, S. 354). Vor der Schlacht von Born­hö­ved im Jah­re 1227 waren die Wils­ter­marsch und Dith­mar­schen noch nicht poli­tisch getrennt. Es hät­te zu der Zeit also nichts dage­gen gespro­chen, einen Elb­deich über die Gren­ze zwi­schen Dith­mar­schen und Stein­burg hin­weg zu schla­gen. Viel­leicht exis­tier­te damals sogar schon ein Deich – wir wis­sen es nicht. Nach­dem sich Dith­mar­schen nach 1227 zu einem de-fac­to Frei­staat unter loser Ober­herr­schaft des Erz­bi­schofs von Bre­men ent­wi­ckel­te, hät­te eine fes­te Land­ver­bin­dung zwi­schen der Wils­ter­marsch und Dith­mar­schen ein poten­zi­el­les Ein­falls­tor für Inva­so­ren aus dem Hol­stei­ni­schen gebil­det. Es bestand also von dith­marscher Sei­te her wenig Inter­es­se an einem durch­gän­gi­gen Elb­deich – des­halb schütz­ten sich sowohl Dith­mar­schen als auch die Wils­ter­marsch durch Flü­geld­ei­che vor den Flu­ten der Elbe.

Die „Letzte Fehde“ – der Wendepunkt

Wegen des moo­ri­gen Unter­grunds waren die bei­den Flü­geld­ei­che jedoch nicht stand­si­cher. Des­halb befahl der däni­sche König Chris­ti­an III. sei­nen Unter­ta­nen in der Wils­ter­marsch im Jah­re 1552 „ihm und ihnen selbst zum bes­ten“ den Bau eines Ver­bin­dungs­dei­ches zwi­schen den Elb­dei­chen vor Büt­tel und Oster­moor  (Jen­sen, 1913, S. 279). Nur ver­moch­ten sich die Wils­ter­marsch-Leu­te nicht mit den Dith­marschern über den Bau eines neu­en Deichs ver­stän­di­gen, angeb­lich wegen des Besitz­rechts an dem neu gewon­ne­nen Land.

Ver­mut­lich schei­ter­ten die Ver­hand­lun­gen aber, weil die­ser Deich von erheb­li­cher mili­tä­ri­scher Bedeu­tung war. Durch die Nie­der­wer­fung Dith­mar­schens in der „Letz­ten Feh­de“ von 1559 gelang­te der däni­sche König jedoch bald auch in den Besitz von Süd­er­dith­mar­schen. Damit stan­den einem Deich­schlag von Büt­tel nach Oster­moor zumin­dest kei­ne poli­ti­schen Hin­der­nis­se mehr im Wege. Den­noch bedurf­te es der schwe­ren Sturm­flu­ten vom 25. Juli 1561 und vom 10. Febru­ar 1563, um dem Unter­neh­men aus­rei­chen­den Nach­druck zu verleihen.

Die Sturmfluten von 1561 und 1563

Bei der Sturm­flut vom 25. Juli 1561 (Datum mei­nes Erach­tens zwei­fel­haft) brach der Deich vor Oster­moor wohl an zwei Stel­len (Fischer, 1957, S. 113). Mir ist nicht ganz klar, wo dies geschah. Beson­ders gefähr­det war sicher­lich der Anschluss vom fes­ten Klei­deich an das Hoch­moor. In der Lite­ra­tur ist aber von zwei Ein­brü­chen die Rede. In jedem Fall war der Deich­ab­schnitt bzw. das Moor öst­lich vom spä­te­ren Lütt­dörp betrof­fen. Denn man kann einem Brief an den däni­schen König von 1563 ent­neh­men, dass es mög­lich sei, die „Moor­kuh­len“ durch einen Deich auf dem Ufer der Elbe zwi­schen Oster­moor und Büt­tel zu umge­hen. Zudem wird in einem Bescheid des Rechts­ta­ges vom März 1563 die „Aus­rü­ckung“ des Deichs auf „har­ten Grundt“ als unum­gäng­lich bezeich­net (Fischer, 1957, S. 113).

1562 ersuch­ten die Bau­ern in der Bau­er­schaft Oster­moor den däni­schen König um eine Sen­kung ihrer Deich­last. In dem Schrift­stück fin­det man eine Pas­sa­ge, nach der die Feld­mark täg­lich mehr abbre­che („Nhu iß idt an deme dat vnse­re velt­m­arcke­de vnnd Acker stück vast kleen vnd kort syn, noch dach­licks mehr afbre­ecken“). Wahr­schein­lich hat­te in die­ser Zeit der Druck der Elbe auf ihr Nord­ufer merk­lich zuge­nom­men, was die Haupt­ur­sa­che für die „Moor­kuh­len“ von 1561 war. Der Brief der Oster­moorer blieb nicht ohne Reso­nanz. Die drei Lan­des­her­ren ertei­len den Ein­ge­ses­se­nen der Kirch­spie­le Mar­ne, Bruns­büt­tel, Eddel­ak und Barlt den Auf­trag, den Oster­moorern bei der Instand­set­zung des schad­haf­ten Deichs zu hel­fen (Fischer, 1957, S. 113).

Wenn das von Fischer (1957, S. 113) genann­te Datum stimmt, was ich bezweif­le, fand die Sturm­flut von 1561 im Hoch­som­mer statt. Das ist bemer­kens­wert, denn schwe­re Sturm­flu­ten tre­ten in der Regel nur im Herbst und Win­ter auf. Um so gra­vie­ren­der waren die Fol­gen: Viel­leicht hat­te man am 25. Juli zwar schon die Win­ter­gers­ten-Ern­te ein­ge­bracht, aber Rog­gen, Win­ter­wei­zen, Boh­nen und das gesam­te Som­mer­ge­trei­de stan­den noch auf dem Halm. Auch wenn kei­ne Nach­rich­ten dar­über vor­lie­gen, wur­de also ver­mut­lich ein erheb­li­cher Teil der Ern­te oder viel­leicht sogar die gesam­te Ern­te der Bau­er­schaft durch das Salz­was­ser ver­nich­tet. Die in dem Brief an den König von 1562 gewähl­te For­mu­lie­rung „wy arme lui­de“ dürf­te es sich somit kei­nes­wegs um Mit­leid hei­schen­de Rhe­to­rik gehan­delt, son­dern der Wirk­lich­keit  ent­spro­chen haben.

Nach einem Bericht des Statt­hal­ters Johann Rant­zau gin­gen 1561 im könig­li­chen Teil Dith­mar­schens „Schlu­sen und Sylen“ ver­lo­ren. An ande­rer Stel­le ist von zwei weg­ge­trie­be­nen Schleu­sen die Rede. Wahr­schein­lich tra­ten die­se Schä­den im Kirch­spiel Bruns­büt­tel auf, wobei die Schleu­sen mög­li­cher­wei­se durch Was­se­r­an­drang vom Bin­nen­land her zer­stört wur­den (Fischer, 1957, S. 94 und 110). Dem Land­re­gis­ter von 1561 ist zu ent­neh­men, dass Torf­stü­cke vom Hoch­moor los­ge­ris­sen wur­den und 22,5 Hekt­ar Land an der „Twoi­ten“ bedeck­ten. Die­se Flä­che konn­te für vie­le Jah­re weder als Acker noch als Grün­land genutzt wer­den. Den Ablauf der Ereig­nis­se den­ke ich mir so: Zunächst grif­fen die durch die „Moor­kuh­len“ bei Oster­moor ein­ge­drun­ge­nen Flu­ten das Hoch­moor an. Das Was­ser mit den dar­in trei­ben­den Moor­bro­cken ström­te durch die Bau­er­schaft Oster­moor nach Wes­ten und dann durch das Edde­la­ker Fleth wie­der in die Elbe, wobei vie­le Moor­bül­te auf den Fel­dern an dem öst­li­chen Ufer des Fleths, also in der Nähe der heu­ti­gen Wurt­leu­tet­weu­te, lie­gen blieben.

Die bei der Sturm­flut von 1561 in der Bau­er­schaft Oster­moor ent­stan­de­nen „Moor­kuh­len“ wur­den so gut wie mög­lich mit Hil­fe von lan­gen Bal­ken über­deicht. Aber schon bei der Sturm­flut vom 10. Febru­ar 1563 brach der Deich offen­bar wie­der an den­sel­ben Stel­len, und die Bau­er­schaft wur­de erneut über­flu­tet. Über­schwemmt wur­de nicht nur das gesam­te Kirch­spiel Bruns­büt­tel, son­dern auch das Kirch­spiel Eddel­ak sowie ein Teil des Kirch­spiels Mar­ne. Dar­auf hin über­sand­ten die Kirch­spie­le Bruns­büt­tel und Eddel­ak dem däni­schen König Fried­rich II. ein Gesuch, in dem man vor­schlug, einen Ver­bin­dungs­deich zwi­schen Oster­moor nach Büt­tel zu bauen.

Zu klä­ren blieb noch die genaue Tras­se des neu­en Dei­ches. Zunächst wur­de erwo­gen, den Deich unmit­tel­bar vor dem Hoch­moor anzu­le­gen. Man gelang­te jedoch zur Ein­sicht, dass die­ses Vor­ha­ben pro­ble­ma­tisch sei, weil

wen men schoen vp desu­lu­ig­hen Moer diken wol­de, welckes doch vnmog­lich, so is de grundt dochen so deep vnnd loeß, dat dat wather den­su­lu­igen Moer durch­drengtt vnnd alles weghnimpt.“

Des­halb war man sich einig, dass ein ande­rer Ver­lauf vor­zu­zie­hen sei:

nemblich dat man buthen vp vnser siden vann der Buten­dicks grouen hen­au­er nha dem But­tell, dar­sulfst ein hoch Buten­dick hartt kleig­landt vnnd grön­schwartt einer them­li­ken fer­ne van dem moer afge­le­gen, vor­han­den, auer­di­ke, vnnd bring­he de dicke mit dem Bur­schop But­tel thosamen“.

Man plä­dier­te also dafür, den neu­en Deich „von den Außen­deich-Gro­ven [von Oster­moor] nach Büt­tel“ auf das hohe und fes­te Elb­ufer, in eini­gem Abstand vom Moor, zu setzen.

1574: Der neue Deich wird endlich gebaut

Den­noch dau­er­te es immer­hin noch 10 Jah­re, bis der Deich­bau ernst­haft in Angriff genom­men wur­den. Die Auf­nah­me der Arbei­ten ver­zö­ger­te sich jedoch auf der dith­marscher Sei­te. 1573 schrieb Josi­as von Qua­len, Amt­mann zu Stein­burg, des­halb einen Brief an den Land­vogt von Dith­mar­schen Hen­ning Boie, in dem er Beschwer­de dar­über führt, dass die Dith­marscher noch immer nicht mit dem Deich­bau begon­nen hät­ten. Dies geschah trotz des Brie­fes erst im Früh­jahr des fol­gen­den Jahres:

Anno 1574, Fri­d­a­ges na Pings­ten, hoeft [begann] de Wils­ter­marsch mit den Dith­mar­schen den Nyen Diek bey dem Büt­tel an tho maken.“ (Jen­sen, 1913, S. 281)

Demach dürf­te der neue Deich 1574 fer­tig­ge­stellt wor­den sein. Der neu geschaf­fe­ne Koog wur­de zwi­schen den bei­den angren­zen­den Kirch­spie­len auf­ge­teilt; er wur­de von den Wils­ter­marsch­leu­ten „West­bu­ten­diek“, also „West­au­ßen­deich“, genannt. In der Fol­ge­zeit bil­de­te sich im Bereich der heu­ti­gen K75 eine klei­ne Siedlung.

Und so ging es weiter …

Die Elbe übte immer mehr Druck auf ihr Nord­ufer aus. 1684 muss­te der Elb­deich west­lich der Oster­moorer Oster­weu­te um zir­ka 350 m zurück ver­legt wer­den, wodurch 10 Häu­ser und 88 Mor­gen (118 ha) Land ver­lo­ren gin­gen (Fischer, 1957, S. 121). Im Novem­ber 1685 beschä­dig­te aber eine Sturm­flut den neu­en Deich stark und riss zudem gro­ße Spran­ten, dar­un­ter das „Bilt“ oder „Belt“, in den Elb­deich von 1574. Die­ser Deich war offen­bar nicht mehr zu hal­ten und wur­de zuguns­ten einer völ­lig neu­en Deicht­ras­se („Sol­da­ten­deich“) auf­ge­ge­ben. Der Oster­moorer Schen­keld­eich und der Alte Moor­deich auf Stein­bur­ger Sei­te wur­den wie­der Elbdeiche.

Nach den schwe­ren Sturm­flu­ten von 1717 und 1718 muss­te fast die gesam­te Bau­er­schaft Oster­moor aus­ge­deicht wer­den. Der alte Oster­moorer Schen­keld­eich blieb zwar Elb­deich, aber die zuvor bin­nen­lan­di­ge Sei­te fun­gier­te nun als See­sei­te. In eini­ger Ent­fer­nung von der Elbe wur­de 1719 ein voll­kom­men neu­er Deich gebaut, der den Elb­deich vor Büt­tel mit dem Oster­moorer Schen­keld­eich ver­band. Auf des­sen Tras­se ver­läuft heu­te die K75. Das zwi­schen dem Oster­moorer Schen­keld­eich, dem Altem Moor­deich und dem neu­en Deich ein­ge­schlos­se­ne Gebiet nann­te man Alten­koog. Erst 1762 wur­de wie­der ein Deich auf dem Elb­ufer errich­tet. Die­ser hielt bis heu­te allen Angrif­fen der Elbe stand.


Lite­ra­tur

  • Det­lef­sen S.D.F. (1892): Geschich­te der Hol­stei­ni­schen Elb­mar­schen. Ers­ter Band. Von der Ent­ste­hung der Mar­schen bis zu ihrem Über­gan­ge an die Köni­ge von Däne­mark, 1460. Glück­stadt. Neu­druck Kiel 1976, Ver­lag Bernd Schramm.
  • Det­lef­sen S.D.F. (1892): Geschich­te der Hol­stei­ni­schen Elb­mar­schen. Zwei­ter Band. Von dem Über­gan­ge der Mar­schen an die Her­zö­ge von Däne­mark, 1460, bis zur Gegen­wart. Glück­stadt. Neu­druck Kiel 1976, Ver­lag Bernd Schramm.
  • Fischer O. (1957): Das Was­ser­we­sen an der schles­wig-hol­stei­ni­schen Nord­see­küs­te von Fried­rich Mül­ler und Otto Fischer. Teil III – Das Fest­land – Band 5. Ver­lag Diet­rich Rei­mer, Ber­lin. 328 Seiten.
  • Jen­sen W. (1913): Chro­nik des Kirch­spiels St. Mar­ga­re­then – zugleich eine Geschich­te der süd­west­li­chen Wils­ter­marsch. Druck J.J. Augus­tin, Glück­stadt. Zwei­ter Nach­druck, Auf­trag­ge­ber Gemein­de St. Mar­ga­re­then, Her­stel­lung Boy­ens Off­set, Hei­de, 2003. 415 Seiten.