Die Folgen der Sturmflut von 1685
Im 17. Jahrhundert verlagerte sich der Elbstrom im Bereich der Bauerschaft Ostermoor nach Norden und griff das dort relativ weit nach Süden vorspringende Ufer an. Deshalb zog man 1684 den Elbdeich vor Ostermoor um ca. 350 m in das Landesinnere zurück. Durch diese Maßnahme gingen der Bauerschaft Ostermoor insgesamt 88 Morgen Land und 10 Häuser verloren. Der neue Deich wurde aber von der November-Flut von 1685 stark in Mitleidenschaft gezogen, offenbar auch weil er sich noch nicht genügend gesetzt hatte. König Christian V. beauftrage darauf hin im Januar 1687 eine Kommission aus Sachverständigen, die Deiche zu besichtigen und Vorschläge zur Gewährleistung eines dauerhaften Deichschutzes zu unterbreiten. Diese Kommission bestand aus den königlichen Räten H. von Liliencron und C. Wasmer sowie dem Oberst J. Scholten. Sie legte am 15.2.1687 einen Bericht vor, dem die unten präsentierte Skizze beigelegt wurde.
Zunächst wurde die Möglichkeit diskutiert, den Deich in seinem alten Verlauf wieder herzustellen. Dafür hätte aber der 9 m tiefe Grundbruch bei der heutigen Ostertweute geschlossen werden müssen, was wegen des moorigen Untergrunds und der starken Strömung des von der Elbe her einfallenden Wassers schwierig gewesen wäre. Deshalb stimmten die Sachverständigen darin überein, dass ein neuer Deich von der Elbe bis an das Hochmoor gebaut werden müsse. Auf der geplanten Trasse sei – so die Ansicht der Kommission – der Untergrund ausreichend fest, und für diese Linienführung spräche auch, dass auf einem Teilabschnitt schon mal ein Deich bestanden habe. Es handelte sich dabei um den Nordteil des Schenkeldeichs, der vor 1574 den Ostermoorer Elbdeich mit dem Hochmoor verband (auf der Karte bei HS).
Nun existierte 1687 bereits ein Kajedeich, welcher einen provisorischen Schutz gegen die durch Brake einströmenden Fluten bildete und das Binnenwasser vom alten Elbdeich fern hielt. Dieser Kajedeich könne, wie die Kommision meinte, relativ schnell und kostengünstig auf die Höhe eines regulären Elbdeichs gebracht werden. Jedoch hegte man wegen der moorigen Erde, welche für den Bau des neuen Flügeldeichs zur Verfügung stand, Zweifel an dessen Standsicherheit. Deshalb wurde vorgeschlagen, einen Halbmonddeich um die Brake herum zu errichten und den alten schadhaften Elbdeich auf voller Länge wieder her zu stellen. Dadurch sollte die Sprante zuschlicken und dem neuen Deich genügend Zeit verschafft werden, um sich völlig zu setzen. Im Bereich der Braken war der Untergrund sehr moorig. Daher wurde angeraten, diesen vor der Errichtung des Halbmonddeichs durch Pfähle und Faschinen zu stabilisieren.
Natürlich gab es Einwände gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen. Dennoch setzte man die Pläne im Großen und Ganzen um. Insbesondere wurde der Grundbruch umdeicht und der Kajedeich von 1687 zu einem neuen vollwertigen Flügeldeich erweitert. Diese Arbeiten wurden 1689 von Soldaten durchgeführt, weshalb der Deich den Namen „Soldatendeich“ erhielt (Fischer 1957). Auf einem Teilabschnitt verläuft heute die K75.
Damit war der Zustand von vor 1574 fast wieder hergestellt: Der Deich auf dem Elbufer zwischen Ostermoor und Büttel wurde aufgegeben, und an seine Stelle traten wie früher schon zwei Flügeldeiche, nämlich der Soldatendeich in der Bauerschaft Ostermoor und der Alte Moordeich in Büttel. Durch die Ausdeichungsmaßnahmen gingen der Bauerschaft Ostermoor noch einmal 40 Häuser und 101 Morgen (135 ha) Land verloren (Fischer, 1957, S. 124).
Das Deichopfer
Der Grundbruch im Bereich der späteren Ostertweute bildete fraglos eine Schwachstelle bei der Abwehr von Sturmfluten. Eine in alter Zeit als hilfreich erachtete flankierende Maßnahme gegen Deichbrüche war die Darbringung eines Bauopfers. Die folgende denkwürdige Geschichte stammt aus der Feder des Herzhorner Diakons und Chronisten Hieronymus Saucke (im Amt von 1694 bis 1737; +1739), ich habe sie von Detleffsen (1892, S. 432) übernommen:
„Anno 1685, wie der Teich von Brunsbüttel von den tobenden Elb- und Seewogen war weggerissen, ist denen Leuten daselbsten weis gemacht, sie würden den Bruch des Teiches nicht eher können stopfen, noch denselben gewinnen, wo nicht ein Kind umb Geld gekaufet und dasselbe in den Bruch würde zum fundament geworfen werden.
Woraus sie denn deputierte haben ausgesandt, umb ein solch Kind zu erhandeln. Wie nun selbige das Land durchgereiset und in Herzhorn gekommen, treffen sie in denselben Außenteich, welcher zu der Zeit Guldenlöwische und nunmehr die Larwigische Wildnis genannt wird, eine Frau auf der Straße an mit Namen Talcke Helms (welche selbsten mir diese Geschichte hat erzählet, nemlich Anno 1704 d. 13. Sept)., welche da ihren einzigen Sohn von ihren seligen Mann, etwa 1 !/2 Jahr alt, auf ihren Arm träget (sie hat aber zu der Zeit in Fullert Lauen Hause gewohnet) und fragen ihr, ob sie das Kind nicht verkaufen will. Wie sie mit Nein antwortet, halten sie dennoch bey ihr an und fragen ihr, was sie ihr vor das Kind geben sollen. Wie sie nun aus Scherz saget 1000 Rthl., bietet der eine ihr also sohrt 2000 Mk, der ander aber fällt ihm ins Wort und spricht: Ey, es ist ein feines Kind, wir wollen ihr 1000 Rthl geben, schütten ihr darauf das Geld, welches sie in zwei Katten umb den Leib gehabt, auf den Tisch, nehmen darauf das Kind und wollen mit selbiges davon gehen.
Wie also die Mutter merket, dass es Ernst ist, und sie ihr Kind entbehren soll, da verlanget sie das Geld nicht, sondern begehret ihr Kind zu behalten, die Männer aber kehren sich an ihr Geschrey nicht, sondern gehen ihren Weg mit dem erhandelten Kind. Es begegnet ihr aber zu ihrem Glück Hinrich Knee und fraget ihr, was ihr fehlt. Wie er nun höret, was ihr widerfahren, da gehet er den Männern auf dem Leibe mit seinen knubberichten Stock und zwinget sie dazu, dass sie der Mutter das Kind müssen wieder zustellen, holen auch darauf ihre 1000 Rthl. wieder. Es sollen aber darauf diese Gesellen von einem Soldaten in Glückstadt ein Kind vor 100 Rthl. erhandelt haben, welches sie sollen in den Bruch geworfen haben, worüber sie nachmals haben sie her geteichet. Talcke Helms ihr Sohn lebet, wie ich dieses schrieb, noch, hat schon geheyrathet und ist schon 28 Jahre alt.“
„Die Brunsbütteler zwar wollen von diese Historie nichtes wissen, dennoch aber so habe ich Anno 1710 zu Brunsbüttel selbsten aus dem Munde meines alten Schwagers Peter Sül, welcher zu der Zeit Teichgreve gewesen, wie auch von seinem Sohn Sül Sülsen gehöret, dass solches in Vorschlag gewesen, auch zwei deputirte deswegen ausgesandt, aber sie wären ohne ein Kind wieder gekommen, und der Teich wäre daraum doch gewonnen worden.“
Diakon Saucke hatte diese Geschichte also aus erster Hand, nämlich Frau Helms, und ich bezweifle daher nicht, dass sie wahr ist – schließlich bestätigten ja auch zwei Brunsbütteler, darunter sogar ein Deichgraf, dass man zwei Männer beauftragt hätte ein Kind zu kaufen.
Es bleibt nur unklar, ob doch noch ein Kind geopfert wurde. In Sauckes Bericht wird behauptet, das für 100 Taler in Glückstadt erworbene Kind sei „in den Bruch“ geworfen worden. Als Tatort kommt nur der Halbmonddeich, mit dem die große Brake von 1685 umdeicht wurde, in Frage.
Und so ging es weiter …
Vielleicht war ja der leichtfertige Verzicht auf ein menschliches Deichopfer der Grund dafür, dass die schweren Sturmfluten vom 25.12.1717 („Weihnachtsflut“), 25.2.1718 („Eisflut“) und 31.12.1720 („Neujahrsflut“) den Elbdeich vor Ostermoor zerstörten und die Ostermoorer Feldmark fast vollständig ausgedeicht werden musste …
Literatur
- Detlefsen S.D.F. (1892): Geschichte der Holsteinischen Elbmarschen. Zweiter Band. Von dem Übergange der Marschen an die Herzöge von Dänemark, 1460, bis zur Gegenwart. Glückstadt. Neudruck Kiel 1976, Verlag Bernd Schramm.
- Fischer O. (1957):Das Wasserwesen an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste von Friedrich Müller und Otto Fischer. Teil III – Das Festland – Band 5. Verlag Dietrich Reimer, Berlin. 328 Seiten.
Letzte substanzielle Änderung: 20.7.2011