Auf alten Karten findet man unweit der heutigen Oster- und Westertweute einen Ort namens Quithslippe (Meier, 1648) bzw. Quitslippe (Dahlmann, 1927, S. 503), in der Chronik von D. Lübbecke (zitiert von Jensen, 1913, S. 282) Quedtslyppen genannt (Abb. 1). Wie wir noch sehen werden, hat dieser auf den ersten Blick unbedeutend erscheinende Ort möglicherweise eine interessante, weit in das Mittelalter zurückreichende Geschichte.
In der Chronik von Daniel Lübbecke (zitiert von Detlefsen, 1892, S. 21) heißt es:
„Anno 1598 den 16 martyus do toch unser gnedygster konyng unde her van meldorp nha brunsbüttel unde van brunßbuttel so by dem dyke umme nha der quedtslyppen unde so vordan by dem neyen dyke van der quedtslyppen nha dem buttel“.
Demnach „zog“ der dänische König (Christian IV) von Meldorf nach Brunsbüttel und dann von dort über die Quitslippe am Deich entlang nach Büttel. Nahe der Quitslippe begann der Deichabschnitt, welcher erst seit 1574 den Elbdeich der Wilstermarsch mit dem Dithmarschens verband.
Die Karte von Meier lässt vermuten, dass die Quitslippe unmittelbar an der Einmündung des Holstengrabens in die Elbe lag. Das dort eingezeichnete Haus stellt jedoch Rethhaven dar. Quitslippe war die nächste kleine Ansiedlung am Elbdeich in Richtung Brunsbüttel, welche auf der Karte etwas westlich des „Q“ von Quithslippe eingezeichnet ist. Dahlmann (1827, siehe dem Buch beiliegende Karte) betrachtete die Quitslippe irrtümlicherweise als einen Übergang über den Holstengraben in der Gegend des Tütermoors.
Eine „Slippe“ ist ein Weg über den Deich in das Vorland. Die Dithmarschen-Karte von Peter Boeckel (Abbildung 2) liefert uns möglicherweise Hinweise, wie die Quitslippe um 1559 ausgesehen haben könnte. Sie zeigt im westlichen Teil der Bauerschaft Ostermoor ein Objekt (Pfeil), das man als Querslippe interpretieren kann, d.h. der Weg über den Deich kreuzte den Deich im rechten Winkel. Die Karte von Meier (Abbildung 1) verortet die Quitslippe jedoch südlich der Ostermühle. Hier stieß nach der von Lippert (1962) gezeichneten Karte des Kirchspiels Brunsbüttel um 1600 der „Mohlendamm“, welcher den späteren Koogsweg nach Süden verlängerte, auf den Elbdeich. Lippert (1962) verlegte die Quitslippe aber an das südliche Ende der Westertweute.
Verglichen mit anderen zeitgenössischen topographischen Arbeiten handelt es sich bei der Boeckel’schen Karte sicherlich um ein Meisterwerk. Dennoch lässt deren Realitätstreue aus heutiger Sicht zu wünschen übrig. So erscheint dem Betrachter das Eddelaker Fleth eher als Deich denn als Fleth. Deshalb könnte es sich bei der mutmaßlichen Querslippe auch um einen Wasserlauf handeln, an dessen Mündung sich ein kleiner Hafen befand. Einen solchen Hafen gab es in der Tat. Er befand sich nach der Lippert’schen Karte an der Grenze der Bauerschaften Ostermoor und Oldeburwörden und wurde Anfang des 18. Jahrhunderts „Hafen der Ostermoorleute“ oder „Hoppenhaven“ genannt.
So überrascht es nicht, dass Ortelius die rätselhafte Struktur in der Boekel’schen Karte als eine Flethmündung darstellte (Abbildung 3).
Was mag der Namen Quedt bzw. Quit wohl bedeuten? In Süderdithmarschen leiten sich viele Ortsnamen von Männern ab. So handelt es sich bei Brunsbüttel zum Beispiel wahrscheinlich um eine Siedlung, in der einst ein uns sonst nicht weiter bekannter Bruno residierte. Für uns relevant sein könnte der Ursprung des Namens von Quedlinburg, der Hauptstadt der sächsischen Kaiser.
Aus dem Web¹:
„In alten Urkunden und ähnlichen Dokumenten wird der Hof als Quitilinga aufgeführt. … Quito … ist jemand, der gut reden kann, denn ‚quit‘ sagte man noch im Mittelalter zu ‚reden‘. Auf dem Hof lebte also der Sohn des Quito mit seinem Gefolge“.
An anderer Stelle²:
„Der Name … Quedlinburg … bedeutet ‚Burg, feste Siedlung der Quitilinge, der Leute des Quitilo‘. Dieser PN ist mit dem kosenden Suffix ‑ilo zu asächs. queðan ‚reden‘, quiðian ‚wehklagen‘ gebildet, ist also wohl ein Bei- oder Übername. … Der Name weist auf jeden Fall in altsächsische Zeit zurück.“
Gab also ein Mann namens Quito der Quitslippe ihren Namen? In der auf zirka 1205 datierten Abschrift eines Dokuments, dessen Original um 1140 verfasst wurde, taucht ein meines Wissens ein bisher nicht eindeutig lokalisierter Ort namens Quidenberge auf (Abbildung 4).
Man könnte daher Quidenberge in Verbindung mit der Quitslippe bringen. Diese Idee ist nicht neu (Geerz, 1886, Oldekop, 1908, dort S. 75, Dithmarschen-Wiki).
Bei Quidenberge könnte es sich demnach um eine Wurtsiedlung handeln, welche sich einst südlich von der später gebauten Quitslippe befand und im Mittelalter, vielleicht um 1350, in der Elbe versank. Dann hätte Quidenberge mit den nur wenige Kilometer entfernten Wurten von Oldeburwörden und Alt-Brunsbüttel eine Wurtenkette am Nordufer der Elbe gebildet. Dies würde auch erklären, weshalb der Ort Quidenberge heute verschollen ist.
Die Erwähnung in einem mittelalterlichen Dokument, in dem die Zuweisung von Kirchensteuern geregelt wird, lässt vermuten, dass die Kirche an diesem Ort nennenswerte Einkünfte generierte. Dort oder in der Nähe könnte die in der Boien-Chronik erwähnte Fähre angelegt haben, welche die erzbischöflichen Besitzungen südlich der Elbe mit Dithmarschen verband.
Peter Boie, der Chronist des Geschlechts der Brunsbütteler Boien (Boie und Boie, 1909), schrieb 1664:
„Dieser Herr Vage Boje ist in den Zeiten des Hrn. Erz-Bischoff zu Bremen Hardwici des andern in Dithmarschen gekommen … und ist umbs Jahr Christi 1208 dieser Herr Vage Boje,weil er des Hrn. Erz-Bischoffs Diener gewesen, vom Hrn. Erz-Bischoff mit der Fehr über die Elbe belehnet worden, dazu hat ihm ein jechliches Hauß in Ostermoor jährlich ein rauch Huhn geben müssen, und er hat gewohnet in dem Marsch-Kroge, so nun im Queet genennet wird, woselbsten der Zeit die Kirche gestanden. Nachdem die Kirche weggebrochen und das Kirchspiel sich erweitert, sind seine Erben von dar weg, und bey der Kirchen Brunsbüttel gezogen, … “
Ferner heißt es:
„sonsten ist er aus dem Erzstift Bremen gebürtig gewesen, aus Landt Wursten“.
Der/das erwähnte Queet lag sicherlich bei der Quitslippe. Darauf deutet nicht nur der Name hin, sondern auch die Tatsache, dass ausgerechnet die Ostermoorer dem Herrn Vage tributpflichtig waren. Von Interesse ist natürlich die Information, dass der Ort, an dem einst der Herr Vage siedelte, über einen Sakralbau verfügte. Die Kirche oder Kapelle brach man sicherlich nicht aus einer Laune heraus ab – möglicherweise nagte die Elbe zu stark an der Wurt des Quito, und so war deren alsbaldiges Ende abzusehen.
Die Boien-Chronik liefert uns leider keine Anhaltspunkte für die Gründe der Umsiedlung. Vielleicht hatte die Elbe die alte Fährstelle verschlungen oder der Hafenpriel war verlandet. Möglicherweise hatten sich die Waren- und Personenströme des Kirchspiels durch die Eindeichung des Westerdiek-Kooges um 1350 (Meier, 1995, S. 422) oder infolge von Veränderungen auf dem anderen Elbufer nach Nordwesten verlagert, wodurch die Einmündung des Eddelaker Fleetes in die Elbe als Hafen an Attraktivität gewann.
Als diese Vermutungen sind zugegebermaßen Spekulationen. Fakt ist aber, dass die vor Ostermoor liegende Quitslippe früher eine gewisse Bedeutung besessen haben muss.
Literatur
- Boie K. und R. Boie (1909): Die Familie Boie. Brunsbütteler Linie. Z. Ges. Schlesw.-Holst. Gesch. 39, 1 – 135.
- Dahlmann F.C. (1827): In: Neocorus (1598): Dithmersche Historische Geschichte. Erster Band. Hrsg. F.C. Dahlmann. Verlag Heider Anzeiger. 1904. Dem Buch ist eine Karte des Freistaats beigelegt.
- Detlefsen S.D.F. (1892): Geschichte der Holsteinischen Elbmarschen. Zweiter Band. Von dem Übergange der Marschen an die Herzöge von Dänemark, 1460, bis zur Gegenwart. Glückstadt. Neudruck Kiel 1976, Verlag Bernd Schramm.
- Jensen W. (1913): Chronik des Kirchspiels St. Margarethen. Zweiter Nachdruck, Auftraggeber Gemeinde St. Margarethen, 2003.
- Meier E. (1995): Chronik des Amtes Kirchspielslandgemeinde Marne-Land mit seinen elf Gemeinden. Hrsg. Amt Kirchspielslandgemeinde Marne-Land. Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum.
- Oldekop H. (1908): Topographie des Herzogtums Holstein. Verlag Lipsius und Tischer.
Redaktionelle Anmerkungen
¹ [11.3.2016] Der ursprünglich von Boy gesetzte Link war nicht mehr erreichbar. Auf den Seiten von wowi-qlb.de sind die betreffenden Inhalte nicht mehr auffindbar.
alter Link: https://www.wowi-qlb.de/Die_Stadt/geschichte/stadtgeschichte.html
² [22.4.2013] Der ursprünglich von Boy gesetzte Link war nicht mehr erreichbar. Auf den Seiten von pointoo.de sind die betreffenden Inhalte nicht mehr auffindbar.
alter Link: https://www.pointoo.de/Reisefuehrer/Quedlinburg.html